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Frau Leutheusser-Schnarrenberger bei der Pressekonferenz

Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen: Studie zeigt große Verbreitung und hohe Zustimmungswerte antisemitischer Vorurteile

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Frau Leutheusser-Schnarrenberger bei der Pressekonferenz

Im Auftrag der Antisemitismusbeauftragen des Landes Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, und des Ministeriums des Innern haben die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und die Universität Passau eine Studie zur Verbreitung antisemitischer Einstellungen in der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens durchgeführt. Befragt wurden 1.300 per Quotenverfahren ausgewählte Personen ab 16 Jahren. Die Studie ist die erste große Umfrage zu antisemitischen Vorurteilen in Nordrhein-Westfalen seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und den Auswirkungen auf das Leben der Jüdinnen und Juden in Nordrhein-Westfalen. In der Studie wurde geprüft, inwiefern bestimmte Gruppen besonders hohe Antisemitismuswerte aufweisen. Die Studie hilft, die aktuell unzureichende Datenlage zu verbessern und die bisherige intensive Arbeit der Landesregierung gegen Antisemitismus zu ergänzen.

 

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen: „Die Studie hat besorgniserregende Erkenntnisse aufgezeigt. Bis zu 24 Prozent der Befragten haben in unterschiedlicher Form antisemitische Einstellungen. Besonders erschreckend sind die Werte beim holocaustbezogenen Antisemitismus. Dass fast die Hälfte aller Befragten einen Schlussstrich unter die Geschichte ziehen will und über 40 Prozent nachempfinden können, dass der Holocaust viele Menschen kalt lässt, zeigt, welchen Herausforderungen wir uns insbesondere in der Vermittlung der Erinnerungskultur stellen müssen. Auch, dass gerade bei Jugendlichen ein israelfeindliches Weltbild besonders ausgeprägt ist, ist erschreckend und zeigt, dass gerade beim Wissen über Israel und über den Nahostkonflikt Nachholbedarf besteht. Auch die Rolle der sozialen Medien muss verstärkt in der Präventionsarbeit eine Rolle spielen. Wir werden mit den Ergebnissen der Studie und den Handlungsempfehlungen nun intensiv arbeiten und auch unsere Programme vor diesem Hintergrund überprüfen und ergänzen.“

 

Minister des Innern Herbert Reul: „Weil wir uns heute wieder mehr mit Antisemitismus und Israelfeindlichkeit beschäftigen müssen, ist es wichtig, dass wir diese Studie haben, die uns das Dunkelfeld etwas erhellt. Dass 47 Prozent der Befragten einen Schlussstrich unter die Vergangenheit des Holocausts machen wollen, ist erschreckend und inakzeptabel. Unsere Vergangenheit ist Lehrmeister, wenn es darum geht, das Gesagte und auch das Gedachte sehr ernst zu nehmen. Nachdenklich macht mich, dass viele junge Menschen israelfeindliche Ressentiments mit sich herumtragen. Wir müssen uns bei der Präventionsarbeit auf die sozialen Medien als Sendemast von Hass und Hetze fokussieren. Unsere Polizei und der Verfassungsschutz werden immer jüdisches Leben in unserem Land beschützen. Antisemitismus - der Hass gegen Menschen - geht uns alle an. Jeder muss täglich im Kleinen, im Gespräch mit Freunden, mit Nachbarn und Kollegen, den Mund aufmachen und klare Kante zeigen.“

 

Je nach Fragestellung wiesen acht bis 24 Prozent der Befragten gefestigte antisemitische Einstellungen auf. Die Zustimmungswerte variieren stark zwischen den verschiedenen Antisemitismusformen. Abgefragt wurden die Formen religiöser Antisemitismus, moderner oder „tradierter“ Antisemitismus sowie sekundärer oder „holocaustbezogener Antisemitismus. Die Studie zeigt, dass acht Prozent der Befragten religiös geprägte antisemitische Einstellungen vertreten. Mit 24 Prozent glaubt fast ein Viertel der Befragten modernen antisemitischen Erzählungen, wie beispielsweise an eine sogenannte „jüdische Weltverschwörung“. Einer Relativierung oder sogar Leugnung des Holocaust stimmen 19 Prozent der Befragten zu, während ein israelbezogener Antisemitismus bei immerhin noch 14 Prozent der Befragten auf Zustimmung stößt. Nicht nur bei den Antisemitismusformen, sondern auch bei der Frage, ob der Antisemitismus offen oder camoufliert, also über Umwege oder Codes, formuliert wurde, konnte die Studie deutliche Unterschiede feststellen.

 

Prof. Dr. Heiko Beyer (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf): „Unsere Studie zeigt, dass antisemitische Einstellungen in Nordrhein-Westfalen eine beunruhigende Normalität erreicht haben. Mit unserem Fragebogen konnten wir verschiedene Formen des Antisemitismus differenzieren und dabei feststellen, dass (je nach Form) 8 bis 24 Prozent der Befragten tief verankerte antisemitische Überzeugungen aufweisen. Besonders bemerkenswert ist, dass der Anteil bei hochgebildeten und politisch linken Befragten sogar wahrscheinlich noch unterschätzt wird, da diese, wie unsere Umfrage-Experimente nahelegen, dazu neigen, ihre Einstellungen nicht offen zuzugeben. Darüber hinaus offenbaren die Ergebnisse eine signifikante diskriminierende Handlungspräferenz: Befragte würden im Durchschnitt häufiger jüdische (und Schwarze) Mitreisende im Zug im Vergleich zu nicht-jüdischen meiden. Diese Erkenntnisse zeichnen ein alarmierendes Bild der Verbreitung antisemitischer Haltungen und ihrer potenziellen Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben.

 

Prof. Dr. Lars Rensmann (Universität Passau):Die Studie bietet die bisher umfassendsten Erkenntnisse zur Verbreitung und zu den Formen und Faktoren des Antisemitismus in der Gesellschaft. Besonders besorgniserregend ist die Akzeptanz von Antisemitismus, und insbesondere des israelbezogenen, bei Teenagern. Fast die Hälfte der Befragten hegt camouflierte antisemitische Ressentiments, insbesondere verschwörungsmythisch und erinnerungsabwehrende. Einige Implikationen unserer Befunde liegen m.E. auf der Hand. Die Bekämpfung des Antisemitismus bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und eng verknüpft mit dem Schutz der freiheitlichen Demokratie. Antisemitismus hat an Normalität in der Gesellschaft gewonnen und darf nicht weiter zunehmend zur akzeptierten oder tolerierten Norm werden, gerade unter Jugendlichen. Vielmehr sollten anti-antisemitische Normen gestärkt werden. Zuvörderst erfordert dies einen neuen gesellschaftlichen Umgang mit dem grassierenden, teils Gewalt glorifizierenden Antisemitismus und der Desinformation auf sozialen Medien wie TikTok, die längst zu einer primären Sozialisationsinstanz geworden sind. Hier bräuchte es aus meiner Sicht einen neuen Gesellschaftsvertrag und entsprechende neue Initiativen der Intervention und Prävention. Zudem sind dringend Bildung und Kompetenzen von Multiplikatoren wie Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeitern und Lehrerinnen und Lehrern durch institutionelle Maßnahmen zu verbessern, gerade zu den Themen Antisemitismus und Israel. Der Einfluss autoritärer Staaten und Verbände auf demokratische Bildung, Institutionen und Öffentlichkeit muss stärker eingeschränkt werden. Die Herausforderung ist groß und erfordert eine neue Art gesellschaftlicher Anstrengung.“

 

Hintergrund

Die quantitative face-to-face Befragung von 1300 per Quotenverfahren ausgewählten Personen (ab 16 Jahren) wurde vom Institut für Demoskopie Allensbach im Zeitraum vom 8. März bis 13. April 2024 durchgeführt. Die Ergebnisse sind durch Gewichtung für soziodemografische und regionale Verteilungen der Grundgesamtheit laut Aussage des Erhebungsinstituts als „repräsentativ“ für die nordrhein-westfälische Bevölkerung einzuschätzen. 

 

Konzepte

In der Studie wird zwischen vier Erscheinungsformen des Antisemitismus unterschieden: religiöser Antisemitismus, moderner (oder: „‚tradierter“‘) Antisemitismus, sekundärer (oder: „‚holocaustbezogener‘“) Antisemitismus und israelbezogener Antisemitismus.

Zudem wird zwischen den drei Kommunikationsformen des Antisemitismus differenziert: offener (das heißt direkter), camouflierter (das heißt über Umwege bzw. Codes kommunizierter) und tolerierter (Haltung zu von Anderen geäußerten Antisemitismus) Antisemitismus.

Die Camouflierung bzw. „Umwegkommunikation“ von Antisemitismus tritt insbesondere beim modernen Antisemitismus auf, weil dieser in der bundesdeutschen Gesellschaft gemeinhin als tabuisiert wahrgenommen wurde/wird. 

Den Abschlussbericht zur Studie „Antisemitismus in der Gesamtgesellschaft von Nordrhein-Westfalen im Jahr 2024“ (nicht barrierefrei) finden Sie hier:

 

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Inge Auerbacher

Inge Auerbacher spricht im Bundestag

Anlässlich des Holocaustgedenktages am 27. Januar 2022 wird die Holocaust-Überlebende, Inge Auerbacher, eine Rede im Bundestag halten. Auerbacher ist 1934 in Kippenheim in Baden-Württemberg geboren. Am 22. August 1942 wird die siebenjährige Inge mit ihren Eltern zum Sammelplatz in Göppingen gebracht und erhält die Transport-Nummer XIII‑1–408. Zwei weitere Nächte werden sie in der Sammelhalle am Stuttgarter Killesberg interniert und anschließend ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Das kleine Mädchen überlebt zusammen mit ihren Eltern den schrecklichen Terror des Nazi-Regimes und widmet seither ihr Leben als Zeitzeugin dem Kampf gegen Antisemitismus.
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