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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Geschichte mahnt zu Wachsamkeit und Verantwortung

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Vor 90 Jahren wurde Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt. Noch am Abend marschieren uniformierte Horden mit Fackeln durch das Brandenburger Tor. Die Bilder sind historisch eingebrannt. Heute ist mit dem Datum der Begriff der „Machtergreifung“ verbunden. Das Tagesdatum ist eines von vielen historischen Daten, die bereits in der Schule behandelt werden, um die Geschichte und das Wesen des Nationalsozialismus und seiner menschenverachtenden Ideologie zu vermitteln.

Schon vor dem 30. Januar 1933 prägten gewaltbereiter Populismus, Hass und Hetze gegen andere das Instrumentarium der Nationalsozialisten auf der Straße. Antidemokratische Aktionen der NSDAP und Ränkespiele einzelner zumeist reaktionärer Gruppierungen unterminierten den parlamentarischen Raum. Einfache Erklärungsmuster und aggressive Weltbilder verbreiteten sich in der Gesellschaft. Der 30. Januar war somit einer der fassbaren Punkte für den schleichenden Prozess der zum Ende der Weimarer Demokratie führte. Wenige Tage nach der „Machtergreifung“ wird das Parlament erneut aufgelöst. Fortfolgend werden Säulen einer Demokratie, wie die Pressefreiheit weiter eingeschränkt und politische Gegner durch die inzwischen institutionalisierte SA verfolgt, verhaftet und ermordet. Gleichzeitig nutzt Hitler die modernen Medien der damaligen Zeit für seinen Wahlkampf und die Verbreitung seiner Ideologie. Die weitere Entwicklung ist historisch bekannt. Sie führte in die Katastrophe des 2. Weltkriegs und die industrielle Vernichtung von Millionen Menschen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern.

Denken wir an die Bilder des 6. Januar 2020 in Washington, 2023 in Brasilia oder den 20. August 2020 vor dem Reichstagsgebäude in Berlin, sollten uns die Vorgänge von 1933 und was zu ihnen führte Mahnung sein, dass Demokratien sehr schnell ins Wanken geraten können, wenn fundamentale demokratische Grundpfeiler in Frage gestellt oder gänzlich unterminiert werden. Wenn Populisten Krisen der Zeit nutzen, um zu Hetzen, zu Gewalt anzustacheln, Minoritäten der Gesellschaft zur Zielscheibe zu erklären, Pressefreiheit und demokratische Prozesse in Frage zu stellen, dann ist das die Klaviatur des Hasses zur Abschaffung einer demokratischen und offenen Gesellschaft. 2023 ist nicht 1933. Es gibt eine vielfältige und engagierte demokratische Zivilgesellschaft – gerade auch als Lehre aus der NS-Zeit und dem Weg zur „Machtergreifung“. Es ist breiter Konsens, dass extremistische Positionen nicht auf dem Boden unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung und unserer liberalen Gesellschaft stehen.

Und dennoch: Netzwerke der Reichsbürgerszene und anderer demokratiefeindlicher Bewegungen mit Andockstellen bis in die bürgerliche Mitte der Gesellschaft müssen unsere Aufmerksamkeit haben. Einfache Erklärungen auf die Krisen unserer Zeit und das Raunen von fremden einflussreichen Mächten irgendwo im Hintergrund „da oben“ sind der Nährboden für die Verbreitung solcher populistischen und demokratiefeindlichen Weltbilder. Die Zerstörung der Demokratie ist ein schleichender Prozess. Je mehr Menschen das Vertrauen in die liberale Demokratie verlieren, umso anfälliger werden sie für antiliberale Parolen. Diesen Mechanismen gilt es heute in Schulen und darüber hinaus präventiv entgegenzuwirken. Abstrakt versuchen wir dies seit Jahren mit der Stärkung von „Medienkompetenz“ bei jungen Menschen.

Aber auch die dem Schulalter längst entwachsenen Generationen tragen Verantwortung. Viele der nicht mehr ganz so „Neuen Medien“ und Social-Media-Plattformen, Chat-Tools und andere Angebote werden von Feinden der offenen Gesellschaft genutzt, um ihre Verschwörungsmythen und Hassbotschaften zu verbreiten. Wachsamkeit, das Dagegenhalten aus der Zivilgesellschaft und konsequentes Handeln von Justiz und Plattformbetreibern sind für den Erhalt einer Demokratie für alle Menschen wichtig.

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Inge Auerbacher

Inge Auerbacher spricht im Bundestag

Anlässlich des Holocaustgedenktages am 27. Januar 2022 wird die Holocaust-Überlebende, Inge Auerbacher, eine Rede im Bundestag halten. Auerbacher ist 1934 in Kippenheim in Baden-Württemberg geboren. Am 22. August 1942 wird die siebenjährige Inge mit ihren Eltern zum Sammelplatz in Göppingen gebracht und erhält die Transport-Nummer XIII‑1–408. Zwei weitere Nächte werden sie in der Sammelhalle am Stuttgarter Killesberg interniert und anschließend ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Das kleine Mädchen überlebt zusammen mit ihren Eltern den schrecklichen Terror des Nazi-Regimes und widmet seither ihr Leben als Zeitzeugin dem Kampf gegen Antisemitismus.
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