Bild
Yad Vashem

Holocaust-Leugnung auf Social Media - „Humor lässt den Hass akzeptabler erscheinen“

Bild
Yad Vashem

In sozialen Netzwerken wird der Holocaust angezweifelt und verlacht – das zeigt eine Unesco-Studie. Besonders Memes sind eine Herausforderung, sagt deren Autorin Heather Mann im Interview mit Celine Schäfer für das Magazin fluter.

Antisemitische Hass- und Hetzinhalte auf Social Media Plattformen sind seit längerem ein wichtiges Thema, dem sich wissenschaftliche Studien und zahlreiche Initativen mit Präventions- und Gegenmaßnahmen widmen. Mitte letzten Jahres stellte die UNESCO in Zusammenarbeit mit dem  Jüdischen Weltkongress (WJC) einen Bericht über die Verzerrung und Leugnung des Holocausts auf Social-Media-Plattformen vor. Ein Ergebnis: Fast die Hälfte (49 Prozent) der öffentlichen Inhalte mit Holocaust-Bezug auf Telegram leugnet oder verzerrt die Fakten. Dieser Anteil steigt auf über 80 Prozent bei Nachrichten in deutscher Sprache. Diese Beiträge, die leicht zugänglich sind, sind ausdrücklich antisemitisch. Auf anderen Plattformen wie Twitter, Facebook, Instagram oder Tiktok sind Leugnung und Verzerrung auf den ersten Blick geringer. Dort wird die Moderation von Inhalten umgegangen, indem Memes verbreitet werden. Antisemitische Inhalte kommen so "humorvoll" daher.

Die Ergebnisse der UNESCO-Studie und anderer Studien sind erschreckend. Klar ist, dass strafbare Inhalte wie z.B. Holocaust-Leugnungen sofort gelöscht gehören. Hier sind Plattformbetreiber in der Pflicht und es ist konsequentes Handeln gefordert.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

 

Das nachfolgende Interview mit Heather Mann führte Celine Schäfer für das Magazin fluter. Es erschien zuerst am 31. Januar auf fluter.de. Der Interviewtext wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE.

 

Das Interview

fluter.de: Frau Mann, Sie und Ihr Team haben fast 4.000 Inhalte zum Thema Holocaust auf Facebook, Twitter, TikTok, Instagram und Telegram untersucht. Die Ergebnisse der Studie

Heather Mann: … sind schockierend.

fluter.de: Demnach leugnet oder verzerrt fast die Hälfte aller untersuchten Telegram-Inhalte, bei denen es um den Holocaust geht, den nationalsozialistischen Völkermord. Bei Twitter und TikTok sind es knapp ein Fünftel. Handelt es sich um ein neues Problem?

Heather Mann

Heather Mann: Kein neues, aber ein wachsendes. Wir sehen grundsätzlich immer mehr Hatespeech in sozialen Netzwerken, Verschwörungsmythen rund um den Holocaust sind ein Teil davon. 2020 wurden diese Verschwörungen wegen der Pandemie besonders stark verbreitet, oft im Zusammenhang mit der Impfung oder anderen Covid-Maßnahmen.

fluter.de: Der Jüdische Weltkongress wandte sich mit dem Thema an die Unesco.

Heather Mann: Ja. Gemeinsam mit dem Oxford Internet Institute und den Vereinten Nationen wollten wir das Problem angehen. Denn für Menschen, die den Holocaust selbst überlebt haben oder die Überlebende in der Familie haben, sind antisemitische Posts besonders schmerzhaft.

fluter.de: Die Studie macht auch klar, wie unterschiedlich Holocaust-Revisionismus klingen und aussehen kann.

Heather Mann: Manche Nutzer bestreiten konkret, dass es den Völkermord gab, etwa durch vermeintliche Faktenchecks laut denen Gaskammern, Massenerschießungen und Folter niemals existiert haben. Einige Posts leugnen den Holocaust nicht, sondern feiern ihn oder machen die jüdische Bevölkerung selbst für ihre Verfolgung und Ermordung verantwortlich. Am gefährlichsten sind aber antisemitische Memes.

fluter.de: Warum?

Heather Mann: Memes sind ein Humorformat. Sie gehören zur Kultur des Internets, gerade unter jungen Menschen, Und sie nutzen oft sprachliche Codes, die nur bestimmte Kreise verstehen.

fluter.de: Haben Sie ein Beispiel?

Heather Mann: Sehr beliebt ist der Bowler. Das Meme zeigt einen Mann beim Bowlen, der die systematische Tötung jüdischer Menschen quasi mit dem Argument „abräumt“, die Türen der Gaskammern in Auschwitz seien aus Holz gewesen, hätten das Gas also gar nicht im Raum halten können. Was natürlich falsch ist, glatte Holocaustleugnung. Solche Memes haben schlimme Konsequenzen: Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker können ihren antisemitischen Hatespeech leichter verschleiern. Humor lässt den Hass akzeptabel erscheinen, fast schon fröhlich. Sie erreichen so auch den „normalen Diskurs“, also Menschen jenseits ihrer Bubble.

fluter.de: Weil ihr Antisemitismus zunächst einfach als Witz gelesen wird.

Heather Mann: Das hat auch mit dem Format zu tun: „Humorvolle“ Bilder und Videos sind im Vergleich zu Texten schwieriger als antisemitisch zu identifizieren, sie normalisieren den Hass. Das wiederum erfordert eine spezielle Schulung der Plattformbetreiber, um die Inhalte zu bewerten.

fluter.de: Dabei ist der Anteil der leugnenden Inhalte von Plattform zu Plattform sehr unterschiedlich. Das geht von 3 Prozent bei Instagram bis zu 49 Prozent auf Telegram.

Heather Mann: Je umständlicher es eine Plattform ihren Nutzern macht, einen Beitrag als antisemitisch zu melden, desto höher ist die Zahl der antisemitischen Beiträge dort. Das war eine Erkenntnis der Studie. Die mag banal klingen, zeigt aber, dass es enorm davon abhängt, wie groß der Wille des Unternehmens ist, Antisemitismus zu begrenzen. Wenn eine Plattform keine Richtlinien aufstellt, die es explizit verbietet, den Holocaust zu leugnen oder zu verzerren, sendet sie auch ein Signal: Bei uns ist alles erlaubt. So ist es zum Beispiel bei Telegram, das keine entsprechenden Regeln hat.

fluter.de: Sind andere Plattformen engagierter?

Heather Mann: Keine kann antisemitische Posts komplett verhindern. Die anderen vier untersuchten Plattformen haben aber zumindest strikte Richtlinien und Moderation, deshalb werden antisemitische Posts dort auch schneller gesperrt. Facebook und TikTok sind Partnerschaften mit uns eingegangen. Wenn dort Menschen etwas über den Holocaust posten oder nach Informationen zu entsprechenden Begriffen suchen, erhalten sie den Hinweis auf eine Infowebsite des Jüdischen Weltkongresses und der UNESCO. Die erklärt grundlegenden Fakten: Was war der Holocaust? Wer war Adolf Hitler? Warum wurden die Juden zur Zielscheibe? Einfache Fragen in 19 Sprachen, damit möglichst viele genaue Informationen erhalten.

fluter.de: Was können Nutzer tun, die sich aktiv gegen Antisemitismus in den Netzwerken wehren wollen?

Heather Mann: Zuerst sollten sie verdächtige Posts melden, egal wie erfolgreich sie damit sind. Wenn sie sich nicht sicher sind, ob sie etwas teilen sollten, gibt es einfache Checklisten für Posts: Wer ist der Verfasser des Beitrags? Handelt es sich überprüfbare Fakten? Ist der Ton des Beitrags ausgewogen oder sensationslüstern und emotional aufgeladen? Daneben gibt es viele Menschen, die in den sozialen Netzwerken über den Holocaust aufklären.

fluter.de: Ein Beispiel?

Heather Mann: Dov Forman und seine Urgroßmutter, Lily Ebert, die Ausschwitz überlebt hat. Sie führen einen TikTok-Account, auf dem sie Fragen über den Holocaust beantworten. Nutzer sollten Menschen wie die beiden feiern. Und das bedeutet in sozialen Netzwerken: liken und teilen.

fluter.de: Und wie geht ihre Arbeit weiter? Wird es eine weitere Studie geben?

Heather Mann: Ich hoffe. Wir haben auch beobachtet, dass die Inhalte oft nicht beim Antisemitismus bleiben. Sie gehen mit anderen Phänomenen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit einher, mit Rassismus etwa, Frauenfeindlichkeit oder Homophobie. Wir würden gern genauer auf die schauen, die für solche Inhalte verantwortlich sind. Es könnte zum Beispiel sein, dass hinter den Hunderten antisemitischen Hassposts auf Telegram nur eine Handvoll Täter steckt. Das ist bislang völlig unklar.

 

Der Studienaufbau

Cover der UNESCO Studie„History under attack“ ist eine datengestützte Studie zu Holocaust-Leugnung und -Verzerrung in den sozialen Medien. Dafür hat ein Team der UNESCO und der Universität Oxford in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Weltkongress im Sommer 2021 4.000 Inhalte mit Holocaust-Bezug auf fünf großen Plattformen gesammelt: Facebook, Twitter, TikTok, Instagram und Telegram. Die Wissenschaftler/-innen haben die Plattformen auf Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch durchsucht nach

  • neutralen Schlagworten wie „Juden“ oder „Judentum“
  • Ausdrücken mit Holocaust-Bezug wie „Ausschwitz“ oder „Arbeit mach frei“
  • und antisemitischen Phrasen wie „Zionist Occupied Government“ – die Verschwörungstheorie des „Weltjudentums“, das verschiedene Regierungen kontrolliere – und rechtsextremen oder verschwörungstheoretischen Codes, zum Beispiel „Holohoax“

Link zur Studie auf der Internetseite der UNESCO

 

Holocaust-Leugnung anzeigen? Das sagt die Juristin von HateAid

Anna Wegscheider, Juristin bei der Hatespeech-Beratungsstelle HateAid:

„Posts, die den Holocaust explizit oder implizit leugnen, werden uns von Nutzer/-innen regelmäßig gemeldet. Unsere Beobachtungen decken sich mit den Ergebnissen der Studie: Viele der gemeldeten Posts sind auf Telegram zu finden, vor allem in rechten und rechtsextremen Gruppen.

Dadurch sind uns auch viele der Memes geläufig, die mit Codes arbeiten, die der Szene bekannt sind, der allgemeinen Bevölkerung aber nicht. Aus strafrechtlicher Sicht sind die besonders herausfordernd: Wir müssen jeweils im Einzelfall prüfen, ob auch eine codierte, implizite Leugnung die Schwelle der Strafbarkeit erreicht. Am Ende entscheiden die Gerichte, welche Memes strafrechtlich relevant sind.

Allgemein gilt aber: Den Holocaust zu leugnen ist in Deutschland eine Straftat. Deshalb sollten Nutzer/-innen solche Inhalte nicht nur melden, damit die Plattformen sie löschen können, sondern auch anzeigen. Strafanzeigen sind aus unserer Sicht besonders wichtig, damit Täter/-innen für ihr strafbares Verhalten auch im Netz sanktioniert werden. Sie können direkt bei der Polizei erstattet werden, vor Ort bei einer Polizeidienststelle oder über die Onlinewache der Polizei im jeweiligen Bundesland. Wenn man unsicher ist: Beratungsstellen wie HateAid oder respect! unterstützen bei der Anzeige.“

 

Beiträge filtern
Bild
Inge Auerbacher

Inge Auerbacher spricht im Bundestag

Anlässlich des Holocaustgedenktages am 27. Januar 2022 wird die Holocaust-Überlebende, Inge Auerbacher, eine Rede im Bundestag halten. Auerbacher ist 1934 in Kippenheim in Baden-Württemberg geboren. Am 22. August 1942 wird die siebenjährige Inge mit ihren Eltern zum Sammelplatz in Göppingen gebracht und erhält die Transport-Nummer XIII‑1–408. Zwei weitere Nächte werden sie in der Sammelhalle am Stuttgarter Killesberg interniert und anschließend ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Das kleine Mädchen überlebt zusammen mit ihren Eltern den schrecklichen Terror des Nazi-Regimes und widmet seither ihr Leben als Zeitzeugin dem Kampf gegen Antisemitismus.
Beiträge filtern
  • 0
  • 1
  • 2
  • 3
  • 4
  • 5